Das persönliche Anschreiben in der Bewerbung ist – wie wir im ersten Teil bereits evaluiert haben – für viele Bewerber ein großes Leid. Es ist nicht nur besonders zeitintensiv (im Schnitt werden 60 Minuten dafür aufgewendet), auch der Nutzen für die Personaler erschließt sich Vielen nicht. Immerhin geben viele Personalabteilungen an, sich zunächst den Lebenslauf anzusehen und erst dann das Schreiben zu lesen, oder auch nicht, wenn der Kandidat nicht passt. Nicht selten werden Bewerbungsprozesse von Kandidaten sogar abgebrochen, weil sie zu umständlich sind. Also liegt doch quasi auf der Hand, dass die Personalbranche anfangen muss umzudenken, um sich auf eine neue Generation von Bewerbern – den Digital Natives – einzustellen. Wäre es also besser das Anschreiben abzuschaffen?
Das Anschreiben als Selektionskriterium
Die Verfechter des guten alten Anschreibens werden an dieser Stelle einwenden, dass sie insbesondere das Bemühen eines Bewerbers als wertvolles Auswahlkriterium nutzen. „Wer schon damit überfordert ist, ein Anschreiben zu formulieren, über den zukünftigen Arbeitgeber zu recherchieren und seine Eignung verständlich darzustellen, der wird auch mit anderen aufwändigen Projekten schnell überfordert sein. Wie soll sich so ein Mitarbeiter in komplizierte Sachverhalte einarbeiten oder sich durch eine unliebsame Aufgabe beißen?“ So gesehen wird aus der Anschreiben-Hürde ein Selektionskriterium, das für das Unternehmen durchaus Sinn machen kann.
Aber welche Vor- und Nachteile hat das Anschreiben für beide Seiten?
Pro
- Zusätzliche Chance der individuellen Selbstpräsentation
- Der Bewerber zeigt, dass er sich mit dem Unternehmen und der Stelle auseinandergesetzt hat
- Darstellung von Ausdrucksweise und Sprachverständnis
- Beweist wirkliches Interesse und hohe Motivation
- Besondere Stärken werden zusätzlich zum Lebenslauf in den Fokus gerückt
- Schafft eine frühe individuelle Kommunikationsbasis
CONTRA
- Bewerbungshürde durch hohen Zeitaufwand
- Sprachgewandtheit ist kein automatischer Beweis für Fachkenntnis und andere relevante Jobskills
- Nicht muttersprachliche Bewerber werden benachteiligt
- Eventuell kommt das Schreiben von einem Ghostwriter
- Konservatives Image
- Formlose Standardabsagen und nicht empfundene Wertschätzung des Aufwandes führen zu hoher Frustration beim Bewerber
Individualität als Schlüssel zum modernen Bewerbungsprozess
Aber wie kriegen wir das Problem jetzt in den Griff? Liegt die Lösung eventuell darin, unterschiedliche Bewerbungsverfahren für unterschiedliche Arbeitnehmerzielgruppen zu entwickeln? Bewerbung über das Social-Media-Profil für Generation Y, Videoclips für das Recruiting von Marketing und Vertriebsmitarbeitern und ein gut ausformuliertes, sauber erarbeitetes Anschreiben für anspruchsvolle Führungspositionen? Das verlangt von der HR-Abteilung die Etablierung unterschiedlicher Bewerbungs- und Bewertungsverfahren. Leider zeigen sich hier die Bewerber häufig flexibler als die Unternehmen. Vorreiter auf dem Posten der flexiblen Bewerbungsmöglichkeiten sind insbesondere junge Unternehmen und Start-Ups, hier könnten sich etablierte Unternehmen gern eine Scheibe von abschneiden.
Wie sollten sich Bewerber verhalten?
Nichts desto trotz raten wir unseren Klienten nach wie vor, dem weitgehend unveränderten Wunsch der Personalabteilungen zu entsprechen und – gerne mit Unterstützung – ein individuell auf die Stelle und das Unternehmen angepasstes Anschreiben zu formulieren. Ist dies doch immer noch eine gute Möglichkeit, Individualität in das ansonsten so faktengeprägte Ritual zu bringen und die Passung der eigenen Person und persönlichen Stärken darzustellen. Dies gilt gerade auch dann, wenn der Lebenslauf die eigenen Vorzüge womöglich nicht auf den ersten Blick preisgibt. Durch die Etablierung unseres Placement Service reagieren wir seit diesem Jahr auf die geänderten Bedürfnisse und entlasten unsere Klienten aktiv bei ihren schriftlichen Bewerbungen. Ich freue mich auf Ihre Rückmeldung und Einschätzung zu dem Thema und lade gerne zu einer Diskussion ein.
Claudia Gruber
Career Coach und Placement-Expertin
[Bildnachweis: © pathdoc / Fotolia.com]
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